Wer kennt sie nicht die Klassiker: schreiendes Kind an der Supermarktkasse, Tobsuchtsanfall gerade wenn man dringend los muss, weil man im Januar keine Sandalen tragen kann und so weiter und so fort. Scheinbare Kleinigkeiten, die für unsere Kinder einen momentanen Weltuntergang darstellen. Und uns selbst oft einer Hilflosigkeit und Überforderung ausliefern. Und das nicht selten auch noch in aller Öffentlichkeit und unter den urteilenden Blicken anderer Erwachsener.
Aber schreiendes Kind ist nicht gleich schreiendes Kind. Und während ich bei meinem erstgeborenen Sohn noch dachte “Hört diese Trotzphase denn niemals auf?” bin ich jetzt, viele Jahre und zwei weitere Kinder später, schlauer. Ich weiß inzwischen, dass eine Differenzierung von Trotzverhalten und emotionalem Zusammenbruch unbedingt notwendig ist um mein Kind richtig zu verstehen. Deshalb möchte ich die Unterschiede gerne mit dir teilen, vielleicht hilft es auch dir, die Aktionssprache deines Kindes besser zu entschlüsseln.
Vorab möchte ich aber unbedingt betonen, dass ich keinerlei Wertung zwischen Trotzanfall und emotionalem Zusammenbruch mache. Beides kommt bei jedem Kind vor und ist ein wichtiger Bestandteil der emotionalen und psychischen Entwicklung deines Kindes.
Emotionale Zusammenbrüche können bei neurodivergenten Kindern verstärkt vorkommen, weil sie unter größerem Anpassungsdruck stehen.
Das sind die Merkmale eines Trotzanfalls:
- die Absicht eines Trotzanfalls ist, etwas bestimmtes zu bekommen (z.B.: Spielzeug, Essen, etc)
- bei einem Trotzanfall wirkt das Kind außer Kontrolle, es kann den Trotzanfall aber auch abrupt beenden (zum Beispiel wenn es das gewünschte Ergebnis erreicht
- beim Trotzanfall achtet das Kind auf die Reaktion der Bezugsperson
- Trotzanfälle sind ein gesunder Entwicklungsschritt bei Kindern
- beim Trotzanfall passiert Fühlen UND Denken, das Gehirn ist aktiv
- Trotzanfälle sind ein Mittel der Kommunikation
- ein Trotzanfall ist ein gewähltes Verhalten (bewusst oder unbewusst)
Das sind die Merkmale eines emotionalen Zusammenbruchs:
- ein Zusammenbruch wird oft durch sensorische Überstimulation ausgelöst
- der Trigger für einen Zusammenbruch kann unterschiedlichen Ursprung haben, zum Beispiel sensorisch oder eine Erwartung, die nicht erfüllt wird
- bei einem Zusammenbruch ist das Kind außer Kontrolle. Es kann den Zusammenbruch nicht willentlich stoppen, auch wenn der Trigger entfernt oder gelöst wird
- bei einem Zusammenbruch befindet sich das Kind im Fight or Flight Modus
- die Präfrontale Kortex im Gehirn des Kindes ist herunter gefahren, das Kind ist nicht mit Logik zu erreichen
- ein Zusammenbruch ist eine emotionale Reaktion, kein gewähltes Verhalten
Ein großer Unterschied zwischen Trotzanfällen und Zusammenbrüchen liegt also in der Kontrolle. Ist dein Kind zufrieden sobald seine Erwartung erfüllt wurde? Dann hatte es einen Trotzanfall. Wenn es aber weiterhin aufgelöst ist, dann hat es einen emotionalen Zusammenbruch.
Ein Trotzanfall ist ein gewähltes Verhalten und Mittel der Kommunikation. Ein Zusammenbruch ist eine emotionale Reaktion.
Bei einem emotionalen Zusammenbruch ist das Kind nicht mit Logik zu erreichen bevor das Nervensystem nicht beruhigt ist. Es können in diesem Zustand keine Lerneffekte erreicht werden. Ruhe, Rückzug, Achtsamkeit oder Trösten ist das, was das Kind wieder zurück in einen ausgeglichenen und empfänglichen Zustand bringen kann. (Und ja, das kann auch mal sehr lange dauern.)
Emotionale Zusammenbrüche können sowohl neurotypische, als auch neurodivergente Kinder erleben. Neurodivergente Kinder sind allerdings öfter und vermehrt davon betroffen, weil ihr Nervensystem insgesamt stärker auf Reize reagiert und somit auch schneller überfordert ist. Außerdem stehen sie oft dauerhaft unter größerem Anpassungsdruck, was das Stressempfinden insgesamt steigert.
Wahrscheinlich spürst du selbst ganz genau die unterschiedliche Qualität in den Reaktionen deines Kindes und weißt intuitiv, was es braucht. Die Kunst besteht, wie so oft, darin sich auf die eigene Intuition zu verlassen und nur danach zu handeln.
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