Unsere Welt ist voller Vielfalt und zum Glück leben wir in einer Zeit, in der diese Vielfalt mehr und mehr gefeiert wird. Denn was sollten unsere Unterschiede in Kultur, Sprache, Vorlieben und Identität auch anderes sein als Bereicherung? Erst die Vielfalt macht unsere Welt zu dem interessanten und bunten Ort, den man immer weiter erforschen will. Ein Aspekt der Vielfalt findet bisher allerdings wenig Beachtung und dadurch auch wenig Akzeptanz und das ist die Neurodiversität.
Neurodiversität ist ein Konzept, das die Vielfalt der menschlichen Gehirne und die unterschiedlichen Art und Weisen des Denkens und Wahrnehmens umfasst. In diesem Blogpost werde ich näher auf das Thema Neurodiversität eingehen, wie es sich bei Kindern und Erwachsenen äußern kann und warum es wichtig ist, mehr Verständnis und Inklusion für neurodivergente Menschen zu fördern.
Was ist Neurodiversität?
Neurodiversität bezieht sich auf die unterschiedlichen Art und Weisen, wie Menschen denken, wie sie ihre Umwelt wahrnehmen, wie ihr Gehirn funktioniert. Das Prinzip der Neurodiversität erkennt an, dass es eine natürliche Variation der neurologischen Funktionen gibt und dass alle neurologischen Unterschiede wertvoll sind. Ausprägungen dieser neurologischen Unterschiede sind zum Beispiel ADHS, Hochbegabung, Hochsensibilität, Hochsensitivität oder Autismus. Aber auch Legasthenie, Tourette Syndrom, Synästhesie, die Scanner Persönlichkeit und viele weitere Formen lassen sich unter dem Begriff zusammenfassen.
Von neurodivergenten Menschen spricht man, wenn die Form des Denkens von der Norm (neurotypisch) abweicht.
Wie äußert sich Neurodiversität bei Kindern und Erwachsenen?
Natürlich haben all die Arten der Neurodivergenz unterschiedliche Symptome. Auch handelt es sich meistens um Sprektren, so dass die Ausprägung unterschiedlich stark ist. Und letztendlich ist auch noch jeder Mensch einzigartig und genauso ist die Weise wie sich seine Neurodiversität äußert.
Trotzdem gibt es einige Felder, die bei den meisten neurodivergenten Kindern auffällig sind. Und oft sind es auch gehäufte Probleme in einem oder mehrerer dieser Bereiche, die den Weg zu einer Diagnose öffnen. Natürlich treffen die Dinge genauso auf Erwachsene zu, aber mit oder ohne Diagnose haben sie sich oft Strategien erarbeitet mit diesen Herausforderungen umzugehen.
- Exekutive Funktionen des Gehirns: Schwierigkeiten in der Organisation und Strukturierung, und der Bewältigung von gleich bleibenden, “langweiligen” Aufgaben
- Schwache Impulskontrolle und Stimmungsschwankungen
- Erhöhte Sinneswahrnehmung und im Zusammenhang damit leichte Reizüberflutung oder auch Ablehnung bestimmter Sinnenreize (Essen, Kleidung, Wärme/Kälte, etc)
- Großes Sicherheitsbedürfnis und geringe Flexibilität, wenn es zu spontanen Änderungen kommt
- Hohe Leistungsbereitschaft, wenn das Interesse geweckt ist
- Kreativität, Innovation und Out-of-the-Box Denken mit völlig neuen Lösungen
- Hyperfokus, das totale Abtauchen in die eigene Welt und das momentane Interessengebiet
- Starker Gerechtigkeitssinn
Warum ist mehr Verständnis und Inklusion wichtig?
Vielleicht hast du gemerkt, dass ich die Liste nicht in negative und positive Aspekte aufgeteilt habe. Und zwar aus dem Grund, dass schon die Bewertung einer Eigenschaft ihr einen Stempel aufdrückt. Das Abtauchen in die eigene Welt ist ein Problem, wenn das Kind noch bei der größten Schlange der Welt hängen geblieben ist und sich ausmalt welche Tiere sie wohl fressen kann und wie ihre Verdauung funktioniert (wie sieht eigentlich Schlangen Kacka aus?), während die Klasse den Hefteintrag schon fertig abgeschrieben hat. Es ist auch ein Problem, wenn ich so mit dem Schreiben beschäftigt bin, dass ich darüber vergesse die Rechnung zu bezahlen, die schon seit Tagen ungeöffnet auf dem Schreibtisch liegt. Oder auch wenn die Mutter ihr Kind dazu bringen will den Schlafanzug anzuziehen und das Kind völlig von seiner Lego-Welt absorbiert ist. Aber es können auch wunderbare Dinge entstehen, wenn dieser Zustand sein darf und sich die neurodivergente Person im wahrsten Sinne des Wortes vertiefen darf. Und genauso kann man die ganze Liste durchgehen und sie von mehreren Seiten betrachten. Die Probleme entstehen meist dadurch, dass sich der neurodivergente Mensch in eine Umgebung anpassen muss/soll oder will, die nicht für seine Bedürfnisse ausgelegt ist. Für ein hochsensibles Kind ist eine Schulparty eine Tortur, für ein hochbegabtes Kind sind Wiederholungsaufgaben die reinste Quälerei, ein Mensch mit ADHS meint es nicht böse, wenn er nicht RSVPt für die Party. Jeder von ihnen versucht so gut es geht zu funktionieren in einer Welt die für neurotypische Menschen ausgelegt ist.
Was hilft neurodivergenten Menschen?
Akzeptanz beginnt immer bei einem selbst, in diesem Fall dem neurodivergenten Menschen oder seinen Eltern. Wenn dieser Schritt vollbracht ist, also man selbst weiß, dass man neurodivergent ist oder ein neurodivergentes Kind hat (oder in vielen Fällen beides), dann kann man anfangen sein Leben entsprechend zu gestalten. Viele Vorstellungen sind gesellschaftlich so festgefahren, dass man sich ihnen erstmal bewusst werden muss, um dann im zweiten Schritt umzudenken.
Niemand muss große Feste mögen.
Niemand muss zu jeder Veranstaltung zusagen.
Niemand muss jedes Essen mögen.
Niemand muss sich so anziehen oder so aussehen wie alle anderen.
Wie ein Familienessen abläuft (im Sitzen, Stehen, Liegen, draußen, drinnen, am Tisch, auf dem Boden, gemeinsam oder einzeln und zu welcher Zeit), entscheidet jede Familie selbst.
Niemand muss Urlaub mögen.
Was eine Freizeitbeschäftigung ist und so empfunden wird, entscheidet jeder selbst.
Was einem gut tut, findet jeder selbst heraus.
Niemand muss gute Noten oder Erfolg anstreben.
Wieviel Zeit man allein oder mit anderen verbringen möchte, entscheidet jeder selbst.
Das sind nur einige Beispiele, in welche Richtungen man sein Denken neu ausrichten kann. Das kann ein sehr schönes und befreiendes Gefühl sein, sich Dinge zu erlauben, die alle anderen anders machen, aber man selbst/die eigene Familie eben nicht.
Diese Anpassungen haben natürlich dort eine Grenze, wo es sich tatsächlich um gesetzliche Vorgaben (zum Beispiel Schule) oder lebensnotwendige Maßnahmen (zum Beispiel Geld verdienen, essen, Hygiene, etc) handelt. Zum Thema Schule wäre sicher noch ein eigener Post zu schreiben, denn da fehlt es leider in Teilen noch sehr weit zur Inklusion von neurodivergenten Kindern.
Ich hoffe, ich konnte dir mit dieser kleinen Einführung einen guten Überblick über das Thema Neurodiversität geben und ein bisschen Neugier und Verständnis wecken. Neurodivergenz ist nichts anderes eine natürliche und wertvolle Variation der menschlichen Gehirne.
Würdest du gerne noch mehr über das Thema erfahren? Interessiert dich irgendetwas besonders daran? Dann lass mir gerne einen kurzen Kommentar da…
Petra meint
Vielen Dank. Ein wirklich gut zusammengefasster Beitrag.
Ich arbeite in einer Kita und erlebe es hautnah, wie verschieden unsere Kids ticken. Die richtige Einordnung ist da manchmal nicht einfach.
Ich würde gern mehr über dieses Thema erfahren.
Pippa Pie-Maker meint
Danke für dein Feedback, Petra! Toll, dass du dich in der Arbeit mit Kindern für das Thema interessierst. Das ist so wichtig, danke dafür! Ich werde bald noch mehr auf das Thema eingehen…
Lissi meint
Ich finde diesen Ansatz auch hilfreich für zu Hause, habe aber oft die Erfahrung gemacht, dass er die Konflikte mit gesellschaftlichen Institutionen verschärft…
Es würde mich sehr interessieren, wie da eine gute Balance zu schaffen ist. Aber auch alles andere zu dem Thema
Pippa Pie-Maker meint
Liebe Lissi, danke für dein Interesse!
Madeleine meint
Finde ich sehr spannend. Danke für die Einführung. Der Begriff war mir völlig neu.
Pippa Pie-Maker meint
Freut mich! Mir gehts auch so!